12.8.: Stephen Kiprotich überrascht die Kenianer und gewinnt Gold für Uganda beim Olympia-Marathon
Der Marathon-Olympiasieger heißt Stephen Kiprotich. Mit der Flagge Ugandas über seinem Kopf lief er ins Ziel beim Triumph seines Lebens. Der 23-Jährige sorgte damit für eine große Überraschung, denn er hatte zuvor keines der bedeutenden Rennen über die klassischen 42,195 km gewonnen. Bei den Weltmeisterschaften im vergangenen Jahr war er Neunter. In einem Hitzerennen, bei dem am Ende in der Sonne Temperaturen von über 25 Grad Celsius herrschten, lief Stephen Kiprotich, der in Kenia lebt und trainiert, 2:08:01 Stunden. Für Uganda war dies die erste Leichtathletik-Goldmedaille bei Olympischen Spielen seit John Akii-Bua vor 40 Jahren in München die 400 m Hürden gewonnen hatte. Über alle Sportarten hinweg hatte Uganda zuletzt in Atlanta 1996 eine olympische Medaille gewonnen. „Ich bin sehr froh, hier für mein Land die Goldmedaille gewonnen zu haben. Ich liebe die Menschen in Uganda. Sie sind jetzt sehr froh, denn wir hatten im Marathon noch nie eine Medaille“, erklärte Stephen Kiprotich.
Die Silbermedaille gewann am Sonntagvormittag der Weltmeister von 2011, Abel Kirui (Kenia), mit 2:08:27. Bronze sicherte sich der zweifache Frankfurt-Marathon-Gewinner Wilson Kipsang (Kenia), der nach 2:09:37 im Ziel war. Vor enormen Zuschauermassen hatte Stephen Kiprotich knapp fünf Kilometer vor dem Ziel die führenden Kenianer Kirui und Kipsang überholt. Ein glänzendes Rennen lief Meb Keflezighi (USA), der als Vierter nach 2:11:06 das Ziel am Buckingham Palast erreichte. Marilson dos Santos (Brasilien/2:11:10) und Kentaro Nakamoto (Japan/2:11:16) belegten die nächsten Ränge. Als bester Europäer lief der Pole Henryk Szost auf einen beachtlichen neunten Platz mit 2:12:28. Der Italiener Ruggero Pertile wurde Zehnter (2:12:45) vor Viktor Röthlin (Schweiz/2:12:48). Keiner der drei hoch eingeschätzten äthiopischen Läufer erreichte das Ziel. In der Hitze beendeten sie das Rennen vorzeitig.
Überraschend früh hatte Wilson Kipsang die Initiative ergriffen. Der schnellste Läufer im Feld, der in Frankfurt im vergangenen Jahr mit 2:03:42 Stunden den Weltrekord um lediglich vier Sekunden verpasst hatte, galt als Favorit im Rennen um Gold. Nachdem das Feld in verhaltenen 30:38 Minuten die 10-km-Marke passiert hatte, schlug Wilson Kipsang ein Tempo ein, mit dem man bezogen auf die gesamte Marathondistanz den aktuellen Weltrekord von 2:03:38 Stunden um mehrere Minuten unterbieten könnte. 14:11 Minuten benötigte der 30-Jährige für den Abschnitt von Kilometer 10 bis 15. Schneller war noch niemand in einem olympischen Marathon auf irgendeinem 5-km-Teilstück.
Doch mit diesem enormen Vorstoß schwächte sich Wilson Kipsang am Ende selbst. Er wollte offenbar im Stil des verstorbenen Marathon-Olympiasiegers von Peking 2008, Sammy Wanjiru, zur Goldmedaille laufen. Sein Landsmann hatte vor vier Jahren mit durchweg hohem Tempo die Konkurrenten mürbe gemacht und in olympischer Rekordzeit von 2:06:32 Stunden gewonnen. Die Taktik von Wilson Kipsang ging nicht auf. In seinem ersten Meisterschafts-Marathon hatte er zwar an der Halbmarathonmarke, die er nach 63:15 Minuten erreicht hatte, 16 Sekunden Vorsprung vor Abel Kirui, Stephen Kiprotich, dem hoch eingeschätzten Äthiopier Ayele Abshero, der im Januar den Dubai-Marathon in der Jahresweltbestzeit von 2:04:23 Stunden gewonnen hatte, sowie Marilson dos Santos und Stephen Mokoka (Südafrika).
Aber bald darauf begann der Vorsprung wieder zu schmelzen, was zum Teil auch daran lag, dass Wilson Kipsang an einem Verpflegungspunkt seine Flasche verpasst hatte und dann ein paar Meter zurücklaufen musste, um noch an das Getränk zu kommen. An der 25-km-Marke lag er mit 1:14:58 Stunden dann nur noch sieben Sekunden vor Abel Kirui, Stephen Kiprotich und Ayele Abshero. Während kurz danach Kirui und Kiprotich zu Kipsang aufschlossen, fiel Abshero weit zurück und gab schließlich auf.
In dem spannenden Dreikampf waren es dann zunächst die Kenianer, die die Initiative ergriffen. Kurz nach der 35-km-Marke (1:46:03) trat Wilson Kipsang an und löste sich. Abel Kirui folgte ihm und leistete dann ebenfalls Führungsarbeit. Knapp 50 Meter Vorsprung hatten die beiden bereits auf Stephen Kiprotich. „Ich dachte in diesem Augenblick, dass Wilson und ich um Gold kämpfen werden und rechnete damit, dass wir auf den letzten Kilometern wohl um den Sieg sprinten würden“, erzählte Abel Kirui später. Doch Stephen Kiprotich holte plötzlich wieder auf und ging kurz nach 37 km sogar an den Kenianern vorbei. „Es war überraschend für mich, als Stephen plötzlich wieder da war. Er war dann stärker und konnte sich lösen. Wir konnten ihn nicht mehr einholen. Aber ich freue mich für Stephen”, sagte Abel Kirui. Stephen Kiprotich war nicht mehr aufzuhalten auf dem Weg zur Marathon-Goldmedaille. Abel Kirui und Wilson Kipsang blieben Silber und Bronze.
Auch Wilson Kipsang zeigte sich als fairer Verlierer: „Stephen ist ein Freund. Er hat heute gewonnen, weil in einem Wettbewerb immer der Beste gewinnt“, erklärte Wilson Kipsang.
„Das bedeutet viel für Uganda. Seit 1972 hatten wir keine Goldmedaille mehr gewonnen“, erklärte Stephen Kiprotich. „Das Tempo war zunächst sehr schnell, so dass es für mich erst einmal nur darum ging, mitzuhalten“, sagte der erst 23-Jährige Olympiasieger. „Dann musste ich irgendwann alles versuchen, denn ich wollte diese Goldmedaille gewinnen.“
„Jetzt bin ich endlich ein bekannter Athlet“, sagte Stephen Kiprotich, der in London seinen vierten Marathon lief. Im Frühjahr 2011 war er eigentlich nur als Tempomacher für den Enschede-Marathon vorgesehen. Doch Stephen Kiprotich fühlte sich gut, lief weiter und gewann in der nationalen Rekordzeit von 2:07:20 Stunden. Daraufhin wurde er für den Weltmeisterschafts-Marathon in Daegu (Südkorea) nominiert. Bei der WM wurde er in einem Hitzerennen Neunter. In Tokio lief Stephen Kiprotich, der in Kenia unter anderem mit dem 5.000-m-Weltklasseläufer Eliud Kipchoge trainiert, dann im Februar sein drittes Rennen über die 42,195 km und kam als Dritter mit 2:07:50 ins Ziel. In London gelang ihm jetzt der große Durchbruch.
Text: race-news-service.com
Foto: photorun.net